Der eingebildete Souverän

Der eingebildete Souverän


Eine Polemik gegen die österreichische Linke anlässlich der Reaktionen auf die antisemitische Anschlagsserie in Graz.

Der eingebildete Souverän

Alex Gruber / David Hellbrück

Am 18. August 2020, kurz vor 23 Uhr, besprühte der vor sechs Jahren nach Österreich geflüchtete 31jährige Syrer Mohamed a. S. die Grazer Synagoge mit den Worten »Unsere Sprache und unser Land sind rote Linien«, das danebengelegene Gemeindehaus beschmierte er mit der Parole »free palestin« (sic).

Während letztere Aussage unmissverständlich sein dürfte, mag erstere etwas kryptisch wirken: Vermutlich wollte der syrische Berufspalästinenser damit auf die berühmt-berüchtigte Rede Barack Obamas von der red line in Bezug auf die Assadschen Giftgasangriffe anspielen, um so die Demarkationslinie aufzuzeigen, die die israelische ›Besatzungspolitik‹ angeblich schon längst überschritten hätte.

Während Obama seiner Ankündigung jedoch keine Taten folgen und Assad damit gewähren ließ, sollte der islamistische [2] Wahlpalästinenser das, was er als rote Linien erst einmal bloß öffentlich verlautbart hatte, in den folgenden Tagen mit seinen beschränkten Möglichkeiten auch durchzusetzen wagen.

Bereits am 19. August hatte der Täter mit Wiederholungszwang ähnliche Parolen in der Nähe des Grazer Hauptbahnhofs angebracht und ließ es sich auf dem Weg dorthin nicht nehmen, das Schaufenster des schwul-lesbischen Vereins Rosalila PantherInnen einzuschlagen, um so gegen Freizügigkeit und verderbte Sexualität im verkommenen Westen zu protestieren.

Zwei Tage später, am 21. August, am Shabbat, kurz nach 23 Uhr, warf er ein Fenster der Synagoge mit größeren Zementbrocken ein. Weitere Fenster der Synagoge wurden glücklicherweise nicht zerstört, sondern nur beschädigt. In unmittelbarer Umgebung ließ der Antisemit seiner islamischen Sexualmoral weiteren freien Lauf, warf wieder Steine, diesmal auf ein Bordell und beschimpfte die anwesenden Prostituierten.

Vandalenakt oder Antisemtismus?

Während Elie Rosen, Präsident der Jüdischen Gemeinde Graz, die mehr als eindeutigen antisemitischen Attacken auch direkt als solche bezeichnete, war in der ersten Aussendung der Austria Presse Agentur (APA) lediglich von einem »Vandalenakt« die Rede, der ORF sowie die Kronen Zeitung übernahmen prompt die Formulierung. [2]

Auch in den Pressemeldungen nach dem zweiten Angriff taten sich die österreichischen Medien schwer, den Antisemitismus beim Namen zu nennen, obgleich in einer Aussendung zu lesen war, dass der Täter »einen ausgestreckten Zeigefinger, ein Erkennungszeichen des IS, in die [Überwachungs‑]Kamera gezeigt« hatte. [3]

Rosen hingegen war nach den ersten Attacken bereits klar, dass solcherlei Wut nicht aus dem Nichts kommen konnte, sondern im Zusammenhang mit dem Israel ins Visier nehmenden Antisemitismus stehen muss – und er war zu diesem Zeitpunkt einer der Wenigen, die sich diesen Verdacht auch öffentlich zu äußern erlaubten. So hieß es nach dem ersten Angriff vom 19. August in der APA-Presseaussendung:

»In einem Pressestatement erklärte der Präsident der jüdischen Gemeinde, Elie Rosen, der Anschlag bestätige ein in den letzten Jahren deutlich wahrnehmbares Ansteigen des Antisemitismus. Dabei komme, wie sich auch gegenständlich zeige, dem israelorientierten Antisemitismus starke Bedeutung zu. Rosen selbst hatte in diesem Zusammenhang in der Vergangenheit immer wieder medienwirksam kritisch gegen die antiisraelische BDS-Bewegung und die Steirische Friedensplattform sowie den Grazer Völkerrechtler Wolfgang Benedek Stellung bezogen.« [4]

Drei Tage nach den ersten Schmierereien war es dann wieder Rosen, der öffentlich erklären musste, was nur allzu offenkundig war: Zwar seien alle abstrakt gegen Antisemitismus, wenn »es aber darum gehe, diesem im Alltag klare Schranken zu setzen und Solidarität zu zeigen, dann sei konsequentes Handeln oft kaum zu erkennen. Dies gelte insbesondere für den israelbezogenen Antisemitismus, der sich überall ein Stelldichein gebe.« [5]

Auch war es an Rosen gelegen, der Öffentlichkeit ins Bewusstsein zu rufen, was solch ein Angriff überhaupt bedeutet und welche Zäsur er markiert:

»Der Anschlag stelle einen Tiefpunkt in der Geschichte der Grazer Juden nach 1945 dar. Fenster einer Synagoge seien in Graz zuletzt im Zuge des Novemberpogroms 1938 zu Bruch gebracht worden. Eine derartige Tat habe es in Österreich in den letzten Jahrzehnten nicht gegeben.« [6]

Doch war es damit noch längst nicht genug: als Rosen am Samstagnachmittag des 22. August, diesmal am helllichten Tag, in seinem Auto mit einem Freund auf den Parkplatz der Jüdischen Gemeinde einbog, sahen die beiden, wie dort jemand verdächtig am Tor herumschlich.

»Aus den Augenwinkeln schien Rosen, der Unbekannte hielte einen Stein in der Hand. Rosen war aufgebracht. Kein Gedanke, dass dies gefährlich sein könne, stieg er aus dem Auto, um ihn zur Rede zu stellen. In Sekundenschnelle zog der Mann einen Prügel auf. ›Ich sah Hass in den Augen, eine unglaubliche Aggression, die mich schnell in den Wagen zurückspringen ließ und alle Türen verriegeln‹, sagt Rosen. Der Unbekannte drosch von außen auf das Auto ein.« [8]

Nur mit Glück entkamen Rosen und sein Begleiter dem Täter, der die Tage zuvor schon an der Synagoge und in der näheren Umgebung gewütet hatte und nun endgültig tätlich unter Beweis stellte, dass er sich mit Sachschäden nicht zufriedengeben wollte. Offenkundig war er auf die unmittelbare tätliche Konfrontation vorbereitet, trug er doch ein Stuhlbein bei sich, das er dann als Waffe zur Hand nahm.

Letztlich gelang es dem Täter zu fliehen, obgleich der Parkplatz, auf dem der Angriff stattfand, an einer befahrenen Straße liegt.

Schnell ausgeforscht

Im Anschluss richtete die Grazer Polizei die Ermittlungsgruppe Achava (hebräisch für Brüderlichkeit) ein, und bot Rosen auch Personenschutz an. Die Grazer Synagoge, das danebengelegene Gemeindehaus sowie der jüdische Friedhof wurden verstärkt von der Polizei beobachtet, wenn auch nicht unter Objektschutz gestellt, was stellenweise Kritik hervorrief und insbesondere wohl auf Seiten der Linken den Verdacht nährte, die Polizei könnte fahrlässig mit dem Fall umgehen. [8]

24 Stunden später konnten zwei Streifenbeamte den Täter mithilfe von Fahndungsfotos aus der Videoüberwachung der jüdischen Gemeinde dingfest machen.

Während nach den Angriffen auf die Synagoge überwiegend von einem »Vandalenakt« die Rede war, konnte man sich auch in den meisten der unmittelbar auf den Angriff auf Elie Rosen folgenden Pressemeldungen und Zeitungsberichten wieder nur schwer durchringen, den der Attacke zugrundeliegenden israelbezogenen Antisemitismus beim Namen zu nennen.

Wenn von Antisemitismus die Rede war, dann lediglich ganz allgemein und im Text oder in Zitaten versteckt, in die Schlagzeilen schaffte es der Begriff bloß ausnahmsweise [9]:

»Tätlicher Angriff auf Präsidenten der Jüdischen Gemeinde in Graz« (APA) [10], »Nach den drei Attacken auf die Synagoge in Graz – zuletzt wurde noch Präsident Elie Rosen tätlich angegriffen« (Kleine Zeitung) [11], »Leiter der jüdischen Gemeinde in Graz attackiert! « (Kronen Zeitung) [12], »Präsident der jüdischen Gemeinde Graz angegriffen: Suche nach Täter« (Der Standard) [13].

Die Kronen Zeitung musste gar die Kommentarfunktion »unter ihren Berichten im Netz sperren, weil sich die Volksseele antisemitisch auskotzte.« [14] Ein Redakteur der Kleinen Zeitung teilte auf Twitter mit: »antisemitisch sind die parolen eher nicht«. Rosen kommentierte diese Aussage später gegenüber dem Nachrichtenmagazin Profil so:

»Der Herr Redakteur verschließt sich der Tatsache, dass propalästinensische Parolen auf ein jüdisches Gebetshaus geschmiert wurden und nicht auf einen Würstelstand am Hauptplatz, oder meint er, dass der Täter nicht wusste, dass es die Synagoge war? Ich glaube, dieser Vergleich zeigt schon Dinge, die man totschweigen oder tabuisieren möchte.« [15]

Erste Reaktionen

Noch am Abend des antisemitischen Angriffs auf Rosen versammelten sich etwa 20 bis 30 Personen, um die Synagoge mit einer Mahnwache zu schützen. Was sich dort einfand, war ein bunter Polit-Karneval, der unter anderem von der Kronen Zeitung mit großer Freude begrüßt wurde:

»Ein schönes Zeichen der Zivilgesellschaft: Am Samstagabend versammelte sich trotz strömenden Grazer Regens spontan eine Gruppe von ungefähr 20 Menschen vor der Synagoge, um sie zu beschützen. Personen aus allen politischen Richtungen waren dabei: Konservative, Couleurstudenten, die muslimische Jugend, Linke.« [16]

Dem wie auch immer berechtigten grundsätzlichen Misstrauen gegenüber der Grazer Polizei, das vor allem die linken Teilnehmer der Mahnwache antrieb, wurde dann in den Folgetagen auch durch eine Enthüllungsstory weiteres Futter geliefert.

Am 23. August – einen Tag nach der Mahnwache – wurde bekannt, dass bereits seit Juli ein Prozess wegen »rechtsextremer Umtriebe« gegen Beamte exakt jener Polizeidienststelle im Gang ist, die 200 Meter von der jüdischen Gemeinde entfernt liegt und der der Schutz der Gemeinde obliegt.

Angeklagt sind ein bereits suspendierter Polizist und eine bis dato nicht suspendierte Polizistin, denen vorgeworfen wird, sich in Chatgruppen über die Shoah lustig gemacht und ihrem Schwulenhass freien Lauf gelassen zu haben: »Schwule gehören alle nach Dachau«, »Du bist lustig, Dich vergas’ ich als letzten.« [17]

Nach Bekanntwerden dieses Falls konzentrierte man sich auf die beiden, um vor allem die These vom Polizeiversagen der vorangegangenen Tage zu untermauern: die Plattform stoppt die rechten titelte, es handele sich um die »Polizeiinspektion des schlechten Geschmacks«, [18] der Standard hielt es für »besonders brisant«, dass die »betroffenen Beamten … im selben Gebäude tätig gewesen [sind] wie jene Kollegen, die für den Schutz der nahe gelegenen Synagoge zuständig sind.« [19]

Der tatsächlich erschreckende Fall »rechtsextremer Umtriebe« bei der Grazer Polizeidienststelle kam für diejenigen, die nur allzu gerne vom israelbezogenen Antisemitismus schweigen, wie ein gefundenes Fressen, brauchten sie sich nach deren Bekanntwerden doch nicht mehr weiter mit den Motiven des Täters auseinanderzusetzen. [20]

Auftritt Steirische Friedensplattform

Die für ihren Antizionismus bekannte Steirische Friedensplattform hat das Kunststück vollbracht, in ihrer einseitigen »Medieninformation und Stellungnahme« vom 23. August, nach ganzen drei Sätzen merklich abgequälter Solidaritätsbekundung und zwei weiteren abgeschmackten Allgemeinplätzen, den überwiegenden Teil ihrer Stellungnahme dafür zu nutzen, Elie Rosen als verlängerten Arm Israels zu halluzinieren.

Viel mehr als um den zum Opfer eines antisemitischen Angriffs gewordenen Präsidenten der Grazer jüdischen Gemeinde sorgt man sich dort um das Wohl der ›Palästinenser‹. Großzügig wie ein imaginierter Souverän, der auf den Namen Steirische Friedensplattform hört, erklären die Freunde des Friedens und der unterdrückten Völker, dass alle kulturellen und religiösen Stätten, »aus welchen Motiven auch Immer« (sic), für die »politische Agitation« »ein striktes Tabu zu sein« haben und »jede Missachtung« »strafrechtlich zu ahnden sei«. Und dies gälte, wie es nonchalant aus der Grazer Friedenskaserne tönt, unabhängig davon,

»dass wir und Mag. Rosen Israels Siedlungspolitik, die Annexion von Ostjerusalem, die drückende Militärbesatzung der Westbank und die Belagerung von Gaza völlig unterschiedlich bewerten und Mag. Rosen meint, unsere Kritik durch einen künstlich konstruierten Antisemitismusvorwurf zum Schweigen bringen zu können.« [21]

Weiter erklären der Obmann Franz Sölkner und die stellvertretende Obfrau Helga Suleiman, die die Kommandoerklärung für die Steirische Friedensplattform unterzeichneten, dass Rosen versucht habe,

»den renommierten Grazer Menschen- und Völkerrechtler Univ. Prof. em. Dr. Wolfgang Benedek, die gewaltfreie palästinensische BDS-Basisbewesgung (sic) und die Steirische Friedensplattform mit der Tat in einen vorverurteilenden Zusammenhang zu bringen. Wir nehmen das als Ausfluss seiner proisraelischen politischen Agenda nüchtern zur Kenntnis.« [22]

Vom Ausfluss anderer und der eigenen Nüchternheit in einem Satz zu sprechen, erinnert nicht zufällig an den Antisemitismusverharmloser Wolfgang Benz, wenn dieser in seinem neuen Sammelband Streitfall Antisemitismus nüchterne, wissenschaftliche Analyse zum Thema fordert und zugleich gegen »kleingeistige«, vor »Eifer« und »Impertinenz« strotzende, »nörgelnde Kritiker« vom Leder zieht, die sich mit geradezu fanatischer Leidenschaft dem »Aufspüren, Brandmarken, Verfolgen und Unschädlichmachen von Antisemitismus und Antisemiten« widmeten. [23]

Es ist in projektiver Feindbestimmung stets das zum Aggressor gemachte Außen, gegen das man sich zur Wehr zu setzen habe, weil es einen nicht die reine Unschuld sein lässt, als die man sich selbst so gerne inszeniert.

Zuletzt unterstreichen die steirischen Friedenshetzer in ihrer Solidaritätserklärung für die angegriffene Jüdische Gemeinde von Graz die »legitimen palästinensischen Befreiungsbestrebungen«, die sie auf dem Völkerrecht und einem ominösen humanitären Menschenrecht gegründet sehen wollen, und drohen – wie könnte es auch anders sein? – mit Dialog, um im direkten Gespräch »wechselseitige Feindbildphantasien minimieren« zu können.

Abgefeimter kann man dem Opfer eines israelhassenden Islamisten wohl kaum – zumindest – eine Mitschuld für den erlittenen Angriff geben; schließlich, so suggerieren die Friedensfreunde von der Antisemitenplattform in ihrer Erklärung abschließend, habe auch Rosen es versäumt, »gegenseitigen Respekt zu generieren und menschliche Brücken für ein zukünftig friedliches Zusammenleben im Raum Graz« zu bauen.

Gegenüber dem Nachrichtenmagin Profil erklärte Rosen, wie absurd solche Gesprächsangebote sind, die der genannte Völkerrechtsanwalt Benedek schon länger einfordert:

»Einer, der Israel nicht mag – der nichts dabei findet, wenn Organisationen, die er unterstützt, auf ihrer Homepage posten, Israelis würden palästinensische Brunnen vergiften! – Das kennen wir doch. Das sind die alten antisemitischen Traditionen: ›Der Jude als Brunnenvergifter‹ – mit dem will ich nicht über Antisemitismus beraten«. [24]

Auf den Vorwurf, dass sie antisemitisch tradierte Bilder von Brunnenvergiftern bedienen könnte, reagierte die Steirische Friedensplattform entsetzt und verwies in einer Replik auf ein von ihr übersetztes Interview »zum Thema Wasserversorgung« mit dem Hydrologen Clemens Messerschmid. In dem Interview, das unter dem Titel Dying of Thirst in Gaza erschien, berichtet Messerschmid, obwohl sichtlich um den Anschein von Wissenschaftlichkeit bemüht, jedoch weniger über Wasserknappheit, sondern verkündet antizionistische Evergreens: »Gaza ist jetzt ein Ghetto, ein Slum, es ist ein Slum, es ist ein Ghetto, das abgeriegelt ist und das auf der Welt ziemlich einzigartig ist.« [25]

Nicht umsonst also bringt Rosen in einem Interview über den israelbezogenen Antisemitismus die ganze Absurdität der ›Solidaritätsbekundung‹ der Friedenshetzer auf den Punkt:

»Wenn Sie sich die sogenannte Solidaritätserklärung der sogenannten Steirischen Friedensplattform, die dem israelbezogenen Antisemitismus den Weg geradezu ebnet, ansehen: Da werden ein paar Sätze möglichst breit formuliert, in denen die Attacken verurteilt werden, und drei Zeilen weiter zieht man zwei Absätze lang über mich her, weil ich Position für Israel beziehe, und wie schrecklich das ist.« [26]

Am meisten konfrontiert

Insgesamt scheint Rosen allerdings in den Augen Vieler nicht so recht ins sorgfältig ausgemalte Bild ›des‹ Juden zu passen, bettelt er weder um Schutz, noch buhlt er um Sympathien oder erklärt – wie es auch eine sogenannte israelsolidarische Linke in Österreich gerne hätte – den Antisemitismus der FPÖ, der Identitären oder der Neonazis zum aktuell größten Problem.

Rosen lässt sich nicht, was er wiederholt selbst erklärte, für die politischen Zwecke und psychischen Bedürfnisse der österreichischen Mitbürger instrumentalisieren. [27] Vielmehr erkennt er gerade – und das ganz nüchtern – im israelbezogenen Antisemitismus eine ungleich größere Bedrohung, weil dieser, anstatt tabuisiert zu sein, gesellschaftlichen Konsens erfährt, und Rosen würde sich daher im Kampf gegen die Boykottbewegung BDS auch mehr Unterstützung aus Israel wünschen.

Denn »mit den Auswüchsen dieser Bewegung ist man nicht in Israel konfrontiert, sondern in den Gemeinden in der Diaspora. Immer, wenn Israel von diesen Leuten angeschossen wird, sind massiv die jüdischen Gemeinden betroffen, die etwas dagegen tun.« [28] Dabei verschweigt Rosen keineswegs, dass es Antisemitismus auch von rechts gibt, nur ist er damit in seiner alltäglichen Arbeit – bislang jedenfalls – glücklicherweise kaum konfrontiert:

»Es wird viel über den rechten Antisemitismus geredet, und natürlich gibt es auch einen ausgeprägten muslimischen Antisemitismus, doch der israelbezogene Antisemitismus wird zwar benannt, aber oft ignoriert. Nach meinem Dafürhalten wird er von Dritten meist abgetan als etwas, das eigentlich kein Antisemitismus ist, sondern eine Kritik an der Regierung Israels. Die positiv Gesinnten zeigen dann zwar noch Verständnis dafür, dass Juden zu dem Thema anderer Meinung sind, aber man mischt sich nicht ein. Das sei eben kontroversiell, meint man, und dabei belässt man es auch schon wieder.

Für mich aber in meiner täglichen Arbeit ist das der Antisemitismus, der meinen Alltag am meisten prägt. Ich habe in den letzten Jahren Gott sei Dank keine neo-nazistischen Briefe und Mails bekommen. Wenn ich mir anschaue, worauf sich die Postings oder Massen-Emails beziehen, in denen ich zerrissen werde, dann gehen die primär in diese Richtung. Bis hin zum ›Zionisten-Nazi‹ war da schon alles zu lesen.« [29]

Nach dem ersten Angriff auf die Synagoge und das Gemeindezentrum gab Rosen der Wiener Zeitung ein Interview, in dem er seine Einschätzung zum Umfeld, aus dem der Täter gekommen sein mag, deutlich machte:

»Die Parolen waren pro-palästinensisch. Es stand ›free palestine‹, falsch geschrieben, aber erkennbar … Das ist nicht rechtsradikal. Wir haben es in Graz verstärkt mit einem linken und anti-israelischen Antisemitismus zu tun. Das können wir klar feststellen. Es war nicht völkisch.« [30]

Obgleich er nach dem Angriff auf seine Person in einem Statement auf Facebook erklärt hatte, dass es ihm »gleichgültig ist, von welcher Seite Antisemitismus kommt: von links, von rechts, von oben oder von unten«, [31] machten Linke, die sich gerne auch als israelsolidarisch bezeichnen, im Web Stimmung gegen Rosen und forderten sogar ein, dass er sich öffentlich dafür zu entschuldigen habe, der Öffentlichkeit suggeriert zu haben, ein Linker sei für die Verunstaltung der Synagoge verantwortlich gewesen.

Linke Enttäuschung über Rosen

Obwohl Rosen so etwas nie behauptet, sondern nur richtigerweise feststellt hatte, dass es in Graz ein Problem mit linkem Antisemitismus gibt, war insbesondere der Aufruhr im Kreis der linken Szenegröße Thomas Schmidinger enorm. Im Eiltempo forderte man hier von Elie Rosen immer neue Entschuldigungen, während man enttäuscht erklärte, dass Rosen bloß ein »türkis eingefärbter religiöser Funktionär« sei (türkis ist die Farbe der Neuen Volkspartei von Bundeskanzler Kurz) – und nicht ein ewig dankbarer Schutzjude der israelsolidarischen Linken, wie man es sich wohl gewünscht hatte.

Dass Rosen bei seiner Einschätzung der Gefahren für die jüdische Gemeinde, der er vorsteht, auf die Befindlichkeiten der Linken keine Rücksicht nahm, sondern diese Gefahren offen benannte, das wollen ihm diejenigen nicht verzeihen, denen – Israelsolidarität hin oder her – im Zweifelsfall der Ruf der Linken doch wichtiger ist als die Kritik antisemitischer Gewalt und des Umfelds, dem sie entspringt, in dem sie sich zuträgt und zum Anlass für antisemitische Agitation genommen wird, wie von der Steirischen Friedensplattform dann ja auch prompt vorgeführt. [32]

So bastelte man sich allerorten einen Elie Rosen, der zwar mit dem realen Elie Rosen wenig zu tun hatte, dafür aber umso besser dafür herhalten konnte, die von ihm selbst nüchtern konstatierte Wirklichkeit zu verleugnen.

Während die österreichische Presselandschaft den Beelzebub Antisemitismus anfänglich kaum und erst nach dem Angriff auf Rosen überhaupt zu benennen wagte und zugleich vom israelbezogenen Antisemitismus fast gänzlich schwieg, kann eine Linke, die ihre Israelsolidarität bei anderen Gelegenheiten zur Schau trägt, sich keine Juden vorstellen, die nicht auf ihre Großzügigkeit, ihr Mitgefühl und ihre Solidarität angewiesen sein möchten, sondern lieber auf eigens geschaffene Sicherheitsstrukturen vertrauen und dafür – wie Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Ende August erklärte – jährlich drei Millionen Euro ausgeben müssen, »Geld, dass wir gerne woanders investieren würden«. [33]

Auf einer Pressekonferenz nach der Verhaftung des antisemitischen Täters erklärte Deutsch außerdem: »Nur die enge Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden ermögliche jüdisches Leben in Österreich … Ohne diese Schutzmaßnahmen wäre der Besuch von jüdischen Einrichtungen nicht möglich.« [34]

Eine Aussage, die von der ihre Israelsolidarität vor sich hertragenden Linken genauso gekonnt ignoriert wurde wie das Faktum, dass es mit Bundeskanzler Sebastian Kurz [35] und EU- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler [36] zwei ÖVP-Politiker waren, die unmittelbar nach dem ersten Angriff auf die Synagoge bereits von Antisemitismus sprachen und diesen verurteilten, während die grünen Regierungspartner, die Spitzen der Opposition und Bundespräsident Alexander van der Bellen sich erst am Abend des tätlichen Angriffs auf Rosen und damit drei Tage nach der ersten Attacke auf die Synagoge zu Wort meldeten

Genauso übergangen wurde die Nachricht, dass die österreichische Regierung unter dem türkisen Kanzler als Reaktion auf die Grazer Anschläge »die Mittel zur Förderung jüdischen Lebens und der Sicherheit der jüdischen Gemeinde« per Gesetz auf vier Millionen Euro verdreifachte. [37] Ignoriert wurden diese Tatsachen nicht zuletzt deswegen, weil sich angesichts ihrer keine linke Besserwisserpolitik mit den Juden betreiben lässt, die unweigerlich darauf hinausläuft, sie als Schutzbefohlene zu imaginieren, die sich – in einem weiteren Schritt – auch dementsprechend zu verhalten hätten.

Elie Rosen zum Vorwurf zu machen, dass er Politik im Namen von Türkis betreibe, ignoriert geflissentlich, dass seine Absichten – im Gegensatz zu den eigenen – nicht dem politischen Stimmungsgeschäft folgen. Für solche Spielchen ist die Situation der Juden in der Diaspora aber immer schon zu ernst gewesen. Bereits 2018 erklärte Rosen in einem Interview mit der Kleinen Zeitung:

»Man reduziert den Antisemitismus hierzulande oftmals nur allzu gern auf den rechtsextremen. Aber ein Gefahrenpotenzial für Europas Juden stellt in starkem Maß der oft als Antizionismus getarnte Antisemitismus der Linken oder der muslimische dar. Die Anschläge auf Synagogen in Frankreich wurden kaum von Rechtsextremen verübt. Wir müssen dementsprechend für unsere Sicherheit jetzt mehr Vorkehrungen treffen als früher.« [38]

Der Artikel ist ein Vorabdruck aus der Anfang Januar 2021 erscheinenden Ausgabe Nr. 17 der sans phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik.

Anmerkungen:

[1] »Mohamed a. S. radikalisierte sich im Internet, auf den sichergestellten Handys und einem Laptop wurde unter anderem jede Menge islamistisches Videomaterial gesichtet. Sein Bruder hatte sich längst von ihm abgewandt, konnte und wollte mit dem islamistischen Weltbild nicht mit« (www.krone.at/2217773, letzter Zugriff auf diese wie auf alle anderen, sofern nicht anders angegeben, Internetquellen in diesem Artikel: 15.9.2020).

[2] www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200819_OTS0089/grazer-synagoge-ziel-von-propalaestinensischen-vandalenakten; www.steiermark.orf.at/stories/3062972; www.krone.at/2214009.

[3] www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200822_OTS0029/erneuter-anschlag-auf-grazer-synagoge.

[4] Wie Anm. 2.

[5] Wie Anm. 3.

[6] Wie Anm. 3.

[7] www.profil.at/oesterreich/synagogen-anschlag-der-neue-antisemitismus-von-rechts-und-links/401021459.

[8] www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/5856651/Synagoge-Graz_Verdaechtigem-werden-sieben-Tathandlungen-zugeordnet.

[9] Eine dieser Ausnahmen war die Wiener Zeitung, die bereits am 22. August mit einem Zitat von Rosen titelte: »Wir haben es in Graz mit anti-israelischem Antisemitismus zu tun« (www.wienerzeitung.at/nachrichten/chronik/oesterreich/2072248-Wir-haben-es-in-Graz-mit-anti-israelischem-Antisemitismus-zu-tun.html); die Kronen Zeitung machte am 24. August mit einem Zitat des ÖVP-Innenministers Karl Nehammer auf, das einem Pressestatement entnommen war: »Täter ist islamisierter Antisemit und homophob« (www.krone.at/2216946). Generell blieb es jedoch bei wenigen Ausnahmen, die allgemeine Tendenz sah anders aus.

[10] www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200822_OTS0040/taetlicher-angriff-auf-praesidenten-der-juedischen-gemeinde-in-graz.

[11] Wie Anm. 8.

[12] www.krone.at/2215987.

[13] www.derstandard.at/story/2000119525591/praesident-der-juedischen-gemeinde-graz-angegriffen.

[14] Wie Anm. 7. Ein Blick in eine noch nicht geschlossene Kommentarspalte der Steirerkrone verrät schnell, weshalb man sich dazu veranlasst sah, die Kommentarfunktion zu deaktivieren; beispielsweise schreibt ein Nutzer mit dem Namen ›michl55‹: »Gehns Herr Rosen, teilens dem Netanjahu mit, dass er sich nicht alles unter den Nagel reissen soll, was ihm nicht gehörrt.« ›erdling‹ weiß hingegen zu berichten: »Beide Seiten sind antisemitisch! Nur das IKG beschmiert halt nichts in Österreich« (www.krone.at/2214009).

[15] Wie Anm. 7.

[16] Wie Anm. 12.

[17] www.derstandard.at/story/2000119528008/ein-hund-namens-adolf-rechtsextreme-umtriebe-bei-polizei-aufgedeckt.

[18] www.stopptdierechten.at/2020/08/23/die-polizeiinspektion-des-schlechten-geschmacks.

[19] Wie Anm. 17.

[20] Es soll keineswegs der Eindruck erweckt werden, dass die Plattform stoppt die rechten den antisemitischen Charakter der Taten von Mohamed a. S. unerwähnt ließ – ganz im Gegenteil: war sie doch eine der wenigen, die explizit die Presseaussendung der Jüdischen Gemeinde Graz zitierte. Auch der Anmelder der Mahnwache, der Bezirksvorsteher von Graz-Gries Tristan Ammerer (Grüne), hob den Antisemitismus ausdrücklich hervor und begründete seinen Aktivismus damit. Doch in den Tagen nach Bekanntwerden der bereits seit Monaten laufenden Ermittlungen gegen die beiden Polizisten der Grazer Polizeidienststelle wurde der Fokus der Berichterstattung in Richtung der rechtsextremen Polizeibeamten verschoben.

[21] www.friedensplattform.at/wp-content/uploads/2020/08/Medien-Info-zu-Attacke-auf-Mag.-Rosen_20200823_-2.pdf.

[22] Ebd.

[23] Siehe dazu Philipp Lenhard: Wolfgang Benz: Vorsicht, Antisemitismusvorwurf!, www.mena-watch.com/wolfgang-benz-vorsicht-antisemitismusvorwurf.

[24] Wie Anm. 8.

[25] www.friedensplattform.at/?p=5693. Mehr über den kämpfenden Wasserexperten, der auch ein gern gesehener Interviewpartner bei der ARD ist, findet sich unter: www.mena-watch.com/gebuehrenfinanzierte-daemonisierung-israels.

[26] Zit. nach: www.mena-watch.com/der-israelbezogene-antisemitismus-praegt-meinen-alltag.

[27] »Unappetitlich ist es für uns auch, wenn Vorfälle wie jene von Graz, dazu benützt werden, um hieraus (auch in Foren) politisches Kleingeld zu schlagen. Wo die eine Seite der anderen Seite quasi beweisen möchte, wo denn nun die besseren Antisemiten zu Hause sind. Ein derartiger Missbrauch der Ereignisse bzw. von Opfern des Antisemitismus ist schändlich« (www.facebook.com/elie.rosen.austria/posts/10216925830153187).

[28] Wie Anm. 26. »In den letzten Jahren gab es uns gegenüber in Graz ersichtlich keinerlei rechtsextreme Vorfälle. Wo unsere Freunde nicht sitzen, wissen wir nach jeder Richtung« (www.wina-magazin.at/aufklaeren-ueber-das-judentum).

[29] Wie Anm. 26.

[30] www.wienerzeitung.at/nachrichten/chronik/oesterreich/2072248-Wir-haben-es-in-Graz-mit-anti-israelischem-Antisemitismus-zu-tun.html.

[31] Wie Anm. 27.

[32] Im Interview sagte Elie Rosen diesbezüglich: »Das ist eine Verdrängung, so wie die Sozialisation des Täters von Graz, den angeblich niemand kennt. Der hat mit seinem Bruder zusammengelebt, den offenbar auch niemand kennt, und er hat Integrationskurse besucht, die anscheinend Einzelstunden waren, die er sich selbst gegeben hat. Manchmal kommt man sich schon ein wenig verarscht vor.« (Wie Anm. 26.)

[33] www.krone.at/2216946.

[34] www.juedische-allgemeine.de/juedische-welt/syrer-gesteht-attacke-auf-praesidenten-der-juedischen-gemeinde-graz.

[35] www.twitter.com/sebastiankurz/status/1296048486564147202.

[36] www.twitter.com/k_edtstadler/status/1296053299305684992.

[37] www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200910_OTS0041/kanzleramtsministerin-edtstadler-unterstuetzung-fuer-juedisches-leben-und-die-sicherheit-der-juedischen-gemeinde-wird-gesetzlich-verankert. Im österreichischen Regierungsprogramm sind folgende Punkte festgelegt, die womöglich mit dafür verantwortlich sein dürften, dass die Fördermittel umgehend erhöht wurden: »Fortsetzung des weltweiten Einsatzes Österreichs im Kampf gegen Antisemitismus und Antizionismus – auch auf europäischer Ebene« sowie: »Österreich hat eine besondere historische Verantwortung und aktuelle Verbindung zum Staat Israel. Wir bekennen uns zum Staat Israel als jüdischem und demokratischem Staat sowie zu dessen Sicherheit. Das Existenzrecht Israels darf nicht in Frage gestellt werden« (www.issuu.com/falter.at/docs/regierungsprogramm2020-2024).

[38] www.kleinezeitung.at/steiermark/5439908/Juedische-Gemeinde_Elie-Rosen_Man-redet-sich-die-Dinge-schoen.

 

MENA Watch

 


Autor: MENA Watch
Bild Quelle: Archiv Karl-Albrecht Kubinzky, Public domain, via Wikimedia Commons


Freitag, 01 Januar 2021