Perlen der Provinz - Jesus Christ Superstar in Sondershausen

Perlen der Provinz - Jesus Christ Superstar in Sondershausen


Die Thüringer Schlossfestspiele Sondershausen finden seit 2006 in der märchenhaften Kulisse des Schlosses statt, das Goethe so beeindruckt hat, dass er meinte, Sondershausen sei mehr Schloss als Stadt.

Perlen der Provinz - Jesus Christ Superstar in Sondershausen

Von Vera Lengsfeld

Die malerische Residenzstadt des Fürstentums Schwarzburg-Sondershausen war jahrhundertelang eine kulturelle Hochburg. Davon zeugt nicht zuletzt das Lohorchester, eines der ältesten Berufsorchester Deutschlands, das seine Ursprünge als Hofkapelle bis ins Jahr 1637 zurückverfolgen kann. Sein hohes Können zog Musiker wie Franz List, Max Reger und Max Bruch an. Dass es seine Qualität bewahrt hat, stellt es bis heute unter Beweis. Das hat erheblich zum Erfolg der Schlossfestspiele beigetragen.

Die diesjährige Inszenierung von Lloyd Webbers „Jesus Christ Superstar“ stellt einen besonderen Höhepunkt dar. An dieser Aufführung stimmt einfach alles: Ein geniales Bühnenbild, eine phantastische Regie, tolle Sänger, ein perfektes Zusammenspiel von Chor und Akteuren, nicht zuletzt wunderbare Kostüme. Dazu im Hintergrund die Kulisse des Barockschlosses in der Abendsonne.

Beim Schlossfestival wird jungen Künstlern, die sich am Ende ihres Gesangstudiums oder am Beginn ihrer Karriere befinden, die Gelegenheit gegeben, sich einem größeren Publikum zu präsentieren. Es hat sich wegen der hochwertigen Produktionen, die gemeinsam mit dem Lohorchester entwickelt werden, bereits zum Karrieresprungbrett entwickelt.

Ein solches war auch „Jesus Christ Superstar“ für Lloyd Webber. Sein erstes Rock-Musical wurde eines der erfolgreichsten, aber auch kontroversesten Musicals überhaupt. Schon vor seiner Uraufführung am 12. Oktober 1971 war es durch eine vorher erschienene LP berühmt und umstritten. Das Werk erzählt die letzten sechs Tage im Leben Jesu, seine Passionsgeschichte.

Verräter Judas Iskariot ist die Hauptfigur

Aber nicht Jesus ist die Hauptfigur, sondern Sein Verräter Judas Iskariot, dessen Kommentierungen des Geschehens das Stück bestimmen. Mit dieser Figur nahmen sich Webber und sein Texter Tim Rice eine künstlerische Freiheit heraus. Sie zeichneten Judas bedeutend positiver als die Evangelisten, was die Geschichte den Zuschauern näher bringt, als sie es sonst vermocht hätte. Jesus wird als Mensch gezeigt, voller Angst und Zweifel, ein von seiner Mission Getriebener, der bis an den Rand seiner Kraft geht. Er kennt sein Schicksal, aber er weicht ihm nicht aus.

Das Bühnenbild von Dietrich von Grebmer macht von Anfang an klar, was Jesus erwartet: Im Hintergrund die Dornenkrone, davor überdimensionale Nägel, die im Laufe des Stückes aufgerichtet werden und am Ende auf den Gekreuzigten zeigen. Dazu eine Rollbühne, von der aus die hohen Herrschaften Kaiphas, Pilates, Annas und die Priester agieren.

Die Geschichte beginnt mit Judas‘ einleitendem Monolog, der den Verlauf der finalen Tage Jesus skizziert und sein Ende vorausahnt. 

Dann Jesus Einzug in Jerusalem. Hier wird zum ersten Mal die Kunst der Kostümbildnerin Anja Schulz-Hentrich sichtbar, die mit ihren zeitgenössischen Gewändern durch Details wie ein traditionell jüdisches Kopftuch oder eine antike Rockform Assoziationen zu der historischen Menge hervorruft, die Jesus seinerzeit nach Jerusalem begleitet hat. 

Als Kontrast die schwarzen Priester, die allein durch ihre starren Gänge die Unbeweglichkeit der Bürokratenmacht symbolisieren. Sie sehen in Jesus den Unruhestifter. Ihre Verachtung und Furcht wird durch den tiefen Bass des Kaiphas und Hannas schrille hohe Töne kontrastiert: „Uns droht Gefahr“ und „Jesus muss weg“.

Besonders berührend ist nach der Vertreibung der Händler aus dem Tempel die Massenpsychose der Krüppel und Lahmen, die Jesus um Hilfe weniger bitten, als bedrängen. Der Regieeinfall, diese Figuren anonymisiert unter zwei großen Tüchern agieren zu lassen, in deren Wellenbewegung Jesus unterzugehen droht, macht auf beklemmende Weise die Überforderung deutlich, die Jesus abschütteln muss: „Heilt euch doch selber!“.

Eindrücklich auch das Jesus Gebet zu Gott im Garten Gethsemane, verbunden mit der Frage, warum er in den Tod gehen soll. Der fast androgyne Tobias Bieri, bewältigt diese schwierige Passage souverän. Seine Figur vereint Zartheit und Härte, eine Mischung, die man sich auch beim historischen Jesus vorstellt. Sein Gegenspieler Judas ist eine Partie, die kompakte Männlichkeit mit fragenden Selbstzweifeln vereint. Man kann ihn nicht verachten. Geradezu brillant wird Marc Lambertys Auftritt, als Judas nach seinem Tod als Engel mit gestutzten Flügeln in Gestalt eines Revuesängers zurückkehrt, begleitet von Revuegirls. Dass diese Passage nicht ins Peinliche abgleitet, liegt am perfekten Auftritt der Truppe. Die Provinz kann Revue, die in den Hauptstädten bestehen würde. Wer hätte das gedacht!

Symbolisch steigt Jesus selbst auf das Kreuz

Erwähnt werden muss unbedingt Simon Zelotes großer Auftritt, wo der Abkömmling der Rebellen gegen die Römer Jesus zu mehr Radikalität und Machtwillen auffordert. Hier empfiehlt sich Michael Ehspanner als bemerkenswertes Talent. 

Schließlich rührt Maria Magdalena mit ihrer einer Ballade des Folksongs nachempfundenen Partie „Wie soll ich ihn nur lieben“ an die Herzen der Zuschauer. Viel Beifall erhielt auch Marvin Scott für seinen bizarren Herodes.

Das Finale der Passion, die Folterung und Kreuzigung wurde mit kargen Mitteln in Szene gesetzt. Symbolisch steigt Jesus selbst auf das Kreuz. In der Schlußszene wird besonders deutlich, dass es Regisseur Ivan Alboresi darauf ankam, die Religion im Mittelpunkt seiner Inszenierung zu lassen und Jesus nicht als Opfer machtpolitischer Interessen darzustellen.

„Jesus Christus ist die Basis meiner Religion.“ 

Das ist ihm voll gelungen. Eine Zuschauerin sagte: „Ich habe die Passionsgeschichte noch nie so eindrücklich erlebt.“ Dem kann ich voll zustimmen.

Gibt es nichts Kritisches zu bemerken? Doch. Leider war die Tontechnik nicht auf der Höhe ihrer Aufgaben. Die teilweise Übersteuerung beeinträchtigte besonders die hohen Töne. Da müsste nachjustiert werden.

Am Ende gab es hoch verdiente Stehende Ovationen. Dem Stück sind viele Zuschauer zu wünschen. Sondershausen liegt zwar in der tiefsten Provinz, bietet aber kein Provinztheater, sondern eine Qualitätsproduktion, die eine Reise wert ist.

Nächste Vorstellungen: täglich, 23. Juni bis 21. Juli.

 

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Vera Lengsfeld, Publizistin, war eine der prominentesten Vertreterinnen der demokratischen Bürgerrechtsbewegung gegen die "DDR"-Diktatur, sie gehörte 15 Jahre dem Deutschen Bundestag als Abgeordnete der CDU an. Sie publiziert u.a. in der Achse des Guten und in der Jüdischen Rundschau.


Autor: Vera Lengsfeld
Bild Quelle: :de:Karl-Heinz-SDH [CC BY-SA 1.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/1.0)]


Sonntag, 23 Juni 2019

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